„Man fragt ja nicht wie es uns gerade geht.“
So fasst der 19-jährige Jamal seinen Eindruck in Worte, dass bei den Entscheidungen, die in der Pandemie gefällt worden sind und noch gefällt werden, seine Bedürfnisse, Sorgen und Interessen nicht genügend berücksichtigt werden.
Dabei haben Kinder und Jugendliche ein Recht auf Beteiligung an sozialen und politischen Prozessen, welches durch die UN-Kinderrechtskonvention festgeschrieben ist. Es soll sie dabei fördern Entscheidungen zu treffen, Verantwortung zu übernehmen und ihr Selbstbewusstsein stärken.
Wenn jedoch die Meinung von Kinder und Jugendlichen bei den sie betreffenden, gesellschaftlichen Fragen und Neugestaltung nicht mit eingebunden werden, wird dieses Recht verletzt. Wie bei Jamal kann das dann zu Frustration führen, denn sich nicht gehört und nicht gesehen fühlen suggeriert ein Desinteresse des Gegenübers.
In Jamals Statement ist das Gegenüber „man“, also irgendwie alle beziehungsweise niemand? Doch so komplett niemand kann wohl nicht sein, schließlich hat es seine Aussage in diese Kampagne geschafft. Doch damit es nicht nur dabei bleibt, gilt es diese auch als Apell zu lesen, als Apell hinzuhören, Kindern und Jugendlichen den Raum zu bieten sich eine Meinung zu bilden und diese dann auch bei künftigen Entscheidungsfindungen zu berücksichtigen.
"Wie soll ich mich zu einem gesunden Erwachsenen entwickeln, wenn ich keine Chance habe, mich auszuprobieren."
Der Jugendliche, von dem das Zitat stammt, fühlt sich in der Handlungsfreiheit seiner Jugendphase beschnitten und sieht negative Folgen für seine psychosoziale Entwicklung. Betrachtet man die zentralen Merkmale dieser Lebensphase, wird deutlich, dass sich dieser Zusammenhang fachlich begründen lässt.
Die Jugendphase ist eine komplexe Übergangsphase zwischen Kindheit und Erwachsensein mit vielfältigen Anforderungen. Während in der Kindheit das Verhalten von Erziehungsberechtigten gerahmt wurde und die Anforderungen an rollenförmiges/angemessenes Handeln verhältnismäßig gering waren, muss der/die Jugendliche nun die Leistung vollbringen, sich zu einer stabilen und autonomen Person zu entwickeln. Diese muss vielfältigen Erwartungen der Gesellschaft standhalten und eine eigenständige Lebensführung entwickeln.
In Auseinandersetzung mit den inneren und äußeren Lebensbedingungen muss er*sie sich aus der Abhängigkeit der Eltern lösen, berufliche und soziale Orientierung finden und dazu auch bestehende gesellschaftliche Vorgaben kritisch hinterfragen. Nebenbei muss sich der*die Jugendliche mit den eigenen körperlichen Veränderungen und gesellschaftlichen Zuschreibungen arrangieren.
Diese anspruchsvollen Aufgaben gelingen nur, wenn der*die Jugendliche sich im zwanglosen Miteinander mit Gleichaltrigen „Peers“ ausprobieren kann. Ausprobieren bedeutet hier, mit verschiedenen Identitätsangeboten – Arten zu sein – und damit einhergehenden Verhaltensweisen zu experimentieren, ohne den Druck immer sofort „angemessen“ zu agieren.
Das soziale Miteinander hat hier eine doppelte (wechselseitige) Funktion: Zum einen die Orientierung an Gleichaltrigen zum Erlangen von Identitätsangeboten und zum anderen die Inszenierung vor diesen als „Publikum“, was wiederum Feedback und Orientierung erzeugt. Risikoreiches und gesellschaftlich unerwünschtes Verhalten gehören somit naturgemäß zu dieser Phase, die schlussendlich das Ziel hat, eben diese Verhaltensweisen auf Dauer abzuwenden und funktionale, gesunde Verhaltensweisen in eine Erwachsenenidentität zu integrieren. Kann mit dem eigenen Verhalten nicht in dieser Form experimentiert werden, droht ein Beibehalten, solcher selbst- und fremdschädlicher Verhaltensweisen und ein Scheitern der darauffolgenden Entwicklungsaufgaben des Erwachsenenalters.
Vor dem Hintergrund dieser Bewältigungstatsachen wird offenbar, dass viele Jugendliche unter den Kontaktbeschränkungen in einem besonderen Maße litten und sich nicht ohne Grund jene Wege suchen mussten, welche im Verlaufe der Pandemie gar von Teilen der Gesellschaft mit Argwohn betrachtet wurden.
"Warum werden wir auf die Generation Corona reduziert?!"
Das Statement der jungen Frau wurde Ende des Jahres 2020 aufgenommen.
Vor allem Medien, aber auch Politik haben in der Corona-Pandemie Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene begrifflich als Generation Corona betitelt. Gemeint ist hiermit, dass diese beispielsweise durch Ausfall des Präsenzunterrichts, erschwerte Bedingungen in Schule und dadurch resultierende Defizite erdulden müssen. Auch die Arbeitsplatzsuche oder der Beginn eines Studiums ist für junge Menschen in der Pandemie schwieriger als zuvor.
Es ist anzunehmen, dass die junge Frau es bedauert einen Stempel aufgedrückt zu bekommen und dadurch in eine Ecke gestellt wird, die zu einer Handlungsunfähigkeit und Ohnmacht von jungen Menschen führen kann. Aus fachlicher Sicht ist zu bedauern, dass Angelina und mit ihr tausende andere junge Menschen, nicht als Individuum mit all ihren Interessen, Bedürfnissen aber vor allem auch Stärken wahrgenommen werden. Schließlich ist es gerade für Jugendliche, die sich in dauerhaft an anderen (Gleichaltrigen und Erwachsenen) orientieren müssen, um sich entwickeln zu können eine ganz besondere Herausforderung, mit einer solch erschwerten Lebenssituation umzugehen. Hier wäre es also wünschenswert, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, Strukturen zu schaffen um junge Menschen in ihrer Angst und teilweise auch Orientierungslosigkeit aufzufangen, für sie Perspektiven zu schaffen, statt sie mit einem Stempel zu versehen und ihnen einzureden, dass es für sie kein Weg in der Krise finden lässt.
Unglücklich ist hier, dass die besonderen Herausforderungen und Anstrengungen die von jungen Menschen in dieser schwierigen Zeit erbracht werden oftmals nicht gesehen werden. Sie mussten besondere Fähigkeiten und Ressourcen entwickeln, um sich durch die Pandemie zu kämpfen. Unter erschwerten Bedingungen wurden ihnen möglichst dieselbe schulische Leistung abverlangt nach denen sie im weiteren Verlauf ihres Lebens danach beurteilt werden. Berufsanfänger müssen nach wie vor ebenfalls einfallsreich und flexibel sein. Hier können beispielsweise zukünftige Arbeitgeber, andere Maßstäbe bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen anlegen und etwaige Lücken im Lebenslauf anders zu bewerten.
Zudem sollte uns das Statement von Angelina alle zum Nachdenken anregen, unsere eigenen Denkmuster und Pauschalisierungen immer wieder zu hinterfragen und zu überprüfen. Denn das Apell Angelinas, in ihr mehr zu sehen und sie als jungen Menschen mit vielen Facetten zu sehen, scheint klar!
"Wir sind das Letzte beim Impfen!"
Das Statement des jungen Erwachsenen wurde Mitte des Jahres 2020 aufgenommen.
Während die ältere Generation bereits Rückmeldungen von Impfangeboten geben kann und Erfahrungen aus den Impfzentren teilt, muss die jüngere Generation hinnehmen, dass ein Impfangebot für Sie noch in weiter Ferne liegt. Ebenso muss Sie damit leben, dass das Risiko für junge Menschen als gering eingeschätzt wird. Konkretere Aussagen konnten Mitte des Jahres 2020 natürlich nicht gemacht werden und sind auch zum jetzigem Zeitpunkt schwierig eindeutig festzulegen. Allerdings kann man sich die Ängste und Verunsicherung vorstellen, welche die jungen Menschen ohne Impfangebot ausgesetzt waren/ sind. Auch die nicht eindeutigen Aussagen und sich ständig verändernden Umstände ihrer täglichen Lebenswelt, machten ihnen den Alltag nicht einfacher.
Dieser junge Mensch wünscht sich Sicherheit, die für ihn einfach schwer greifbar ist. Sein Unverständnis an das Ende der Warteschlange gestellt worden zu sein, ist vertretbar. Besonders in einer Zeit, wo sich alle gemeinsam um ihre gesundheitliche Sicherheit sorgen.
Die Ängste und Sorgen betreffen jung wie alt und lassen sich nicht auseinander differenzieren.
"Jeder geht voneinander ein Stück weg. Danach ist auch Freundschaft kaputt."
Ab März 2020 änderte sich der Alltag der Kinder und Jugendlichen vollkommen. Mit dem Beschluss der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen wurden nicht nur Krippen, Kitas und Schulen geschlossen, auch Spielplätze wurden zeitweise gesperrt und der Kontakt zu Personen außerhalb der Familie war kaum möglich. Besonders den Jüngeren, die digitale Medien nur begrenzt nutzen können, wurde der Kontakt zu Gleichaltrigen erschwert.
Doch warum sind Freundschaften und das Zusammensein mit Gleichaltrigen eigentlich wichtig? Nun, Freundschaften unter Kindern und Jugendlichen bieten einen entscheidenden Rahmen für die Entwicklung sozialer und kognitiver Fähigkeiten. In der Auseinandersetzung mit Gleichaltrigen lernen sie mit komplexen Situationen und Gefühlen umzugehen, sie lernen Probleme eigenständig zu lösen, Kompromisse einzugehen, was für die spätere Gestaltung von Beziehungen von enormer Bedeutung ist. Das Heranwachsen zu einer eigenständigen Persönlichkeit geht einher mit der Loslösung von der Familie. Jugendliche, die sich in dieser Phase der Identitätsbildung befinden, finden in ihren Freundschaften zu Gleichaltrigen auch eine Gruppe, in der sie sich sicher und verstanden fühlen. Unabhängigkeit üben, indem man gemeinsam wagt, was einem allein vielleicht zu riskant erscheint. Auch die eigene Geschlechtlichkeit entdecken, Andere kennenlernen und erste mögliche Partnerschaften eingehen sind Themen in dieser Lebensphase. Werte und Vorstellungen, welche Ihnen auf ihrem bisherigen Lebensweg mitgegeben wurden, werden nun in Frage gestellt und für sich selbst überprüft, was als Richtig und sinnvoll erachtet und damit übernommen werden möchte.
Der Freundeskreis stellt damit eine notwendige Instanz für ein gesundes Aufwachsen Kinder und Jugendlicher dar. Gleichfalls kann es Kindern und Jugendlichen in Ausnahmesituationen wie einer derartigen Pandemie, in den meisten Fällen gelingen, ihre Freundschaften aufrechtzuerhalten. Dass jedoch auch Freundschaften zerbrechen, z.B. weil unterschiedliche Haltungen in den Familien zur Situation und den Umgang damit herrschen oder weil nicht jeder über den Zugang zu neuen Medien verfügt, ist leider auch bittere Realität mancher Kinder und Jugendlicher. Die damit verbundenen Sorgen und Ängste müssen deshalb unbedingt von den Erwachsenen ernst genommen werden und thematisiert werden. Ebenso spielt die Förderung von Medienkompetenz, sowie der Lese- und Schreibkompetenz, eine wichtige Rolle zur Abwendung möglicher negativer Folgen der Kontakteinschränkungen.
„Mein Leben ist mehr als Schule“
Die Pandemie hat Schulen dazu gezwungen, digitalen Formaten wie Videomeetings, Schulportalen und YouTube-Tutorials einem recht spontanen Praxistest zu unterziehen. Neben der mitunter eher gezwungenen Beschäftigung mit diesen für Schulen ungewohnten Methoden hat der Distanz- oder Wechselunterricht dazu geführt, dass der normale Tagesablauf eines typischen Schultages so nicht mehr oder nur in Teilen stattfinden konnte.
Zunehmend entfernte sich der Zeitplan vom üblichen 8 bis 13 Uhr hin zu wechselnden, keinem starren Schema folgenden Zeitenplänen. Aufgaben wurden morgens um 7 Uhr oder abends um 22 Uhr online gestellt; Abgaben waren gerne auch mal sonntags bis 18 Uhr. Die ständige Überprüfung der Timelines gehörte bald zum Alltag vieler Schülerinnen und Schüler, die damit dieselbe Entgrenzung von Arbeitszeiten erlebten wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Gefühlt waren Schülerinnen und Schüler rund um die Uhr an 7 Tagen die Woche für und von der Schule gefordert.
Überforderung, Stress, das Gefühl, keine Freizeit mehr zu haben, ein veränderter Lebensrhythmus, zu wenig Schlaf oder die Flucht in digitale Abstinenz und Abwesenheit bei Schulterminen waren für nicht wenige Schülerinnen und Schüler die Folge dieser Entwicklung.
Gerade in der Pubertät ist es für die Entwicklung der Mädchen und Jungen wichtig, freie Zeit zur alleinigen Verfügung zu haben. Freunde treffen, Sport, Hobbies aber auch völlig zweckfreies chillen ist für junge Menschen sehr wichtig. Die Entwicklung einer eigenen Persönlichkeit, das gemeinsame Zeit verbringen mit anderen jungen Menschen und auch die notwendigen Ruhe- und Erholungsphasen sind wichtige Bausteine auf dem Weg zum Erwachsenen.
Der 16-jährige Ali hat dieses Gefühl sehr treffend in seinem Satz zusammengefasst. Wir setzen uns dafür ein, dass Schule und Gesellschaft das Augenmerk nicht nur auf das Aufholen von mehr oder wenigen großen pandemiebedingten Wissenslücken legt, sondern auch und gerade auf die sozialen Folgen für junge Menschen.